Die meisten Kinder lieben es, wenn ihre Eltern oder andere Menschen ihnen vorlesen. Die Fantasie geht auf Reisen, man wird ganz still und entspannt. Alle Sorgen des Alltags erblassen und man taucht ab in ein Meer aus Worten, Gedanken und Vorstellungskraft. Sich etwas vorlesen zu lassen tut gut. Es stärkt die Fantasie und Kreativität, beruhigt und stärkt Empathie und kognitive Fähigkeiten. Leider denken viele Erwachsene irgendwann nur noch nostalgisch an die schönen Stunden unter der Decke, in denen Mama lebhaft vorlas und das Zimmer in eine Märchenwelt verwandelte. Dass Vorlesen kein Alter kennt und sogar richtig gut tut, vergessen einige dabei.
Doch in Zeiten von Poetry Slam und Vorlesungen in Buchhandlungen schleicht sich langsam aber sicher ein neuer und wertvoller Trend ein: immer mehr Menschen aller Altersklassen entdecken die Vorzüge des Vorlesens für sich und geben sich dem Zauber aus Kindheitstagen wieder hin. Gerade in Großstädten wächst das Angebot stetig. Wer in Berlin lebt, hat dabei besonders viel Glück.
Einfach mal innehalten – die schönsten Orte zum Vorlesen lassen in Berlin
Vorlesungen beschränken sich längst nicht mehr nur auf Buchhandlungen oder Antiquariate. Viele Clubs und andere spannende Locations locken die Besucher mit Leseveranstaltungen verschiedenster Art.
Ob der beliebte Club SO36, das Café Tasso mit seinem Frühstücks- und Vorleseangebot, der Prater mit seinem wunderschönen Biergarten oder das Zeiss-Großplanetarium. In Berlin findet jeder den richtigen Ort für sich, um einfach mal abzuschalten und in einer gemütlichen Atmosphäre dem Vorlesen spannender, nachdenklicher, lustiger oder kritischer Texte zu lauschen.
Wer Wert auf Abwechslung legt, der hat nicht nur die Auswahl zwischen den verschiedenen Veranstaltungen in den Cafés und Clubs, sondern kann auch an Leseevents teilnehmen, die wechselnde Bühnen nutzen. Eine dieser Optionen ist die Lesebühne von Fuchs und Söhne. Die Veranstaltung, die einmal monatlich stattfindet, hat keine feste Location und lässt seine Besucher in den unterschiedlichsten Räumlichkeiten entspannt den Autoren und kreativen Köpfen lauschen.
Literaturfreunde mit weniger Zeit für Veranstaltungen können sich beim Gipfeltreffen der Lesebühne Berlin dem Zauber des Vorlesens hingeben und den besten Lesern zuhören. Hier treffen Texte aller Art auf die unterschiedlichsten Autoren und Gäste. Ein buntes Potpourri aus Literaturgenres und interessanten Menschen vereint in der alten KulturBrauerei sorgen für viel Spaß, tolle Unterhaltungen und einen unvergesslichen Samstagabend.
Mehr, als einfach nur vorgelesen bekommen
Vorgelesen zu bekommen ist wunderbar, keine Frage. Wer jedoch noch mehr aus dem Lesevergnügen herausholen will, oder mutig ist, dem stehen noch andere Türen offen. Besucher ohne Lampenfieber können bei der „Open Mic“ Veranstaltung in der Kugelbahn Wedding selbst das Mikrofon übernehmen und ihre Texte dem Publikum präsentieren. Auch Musiker sind dort oftmals anwesend und untermalen den Abend mit ihren Lieblingsstücken. Wenn der Spieltrieb lockt, kann man sogar eine Runde auf die Bahn gehen und kegeln.
Poetry Slam ist ein immer gängiger Begriff unter (Vor-)lesebegeisterten. Ein neutrales Publikum bewertet die Autoren, die ihre Texte lebhaft, unterhaltsam und auch mal ernst vortragen und wählt die Gewinner.
Besonders spannend ist da das Angebot im polymedialen Ponyhof Berlin. Dort findet nämlich ein äußerst ungewöhnlicher und besonders aufregender Poetry Slam statt: der Diary Slam, also Tagebuch Schlacht! Hier tragen die Teilnehmer nicht ihre aktuellen und literarisch wertvollsten Texte vor, sondern lesen Passagen aus ihren alten Tagebüchern. Es wird gemeinsam gelacht, erinnert und den tiefsten Gedanken und Gefühlen der Autoren gelauscht. Eine weitere Besonderheit ist, dass es am Ende keinen Gewinner gibt. Hier steht einfach der gemeinsame Abend im Vordergrund, an dem man seine lange gehüteten Worte mit begeisterten Zuhörern teilen kann.
Das Konzept Feuerpudel ist ein besonderes Highlight für Literatur- und Kunstfans. In einer wechselnden Location findet diese Veranstaltung einmal im Monat statt und nimmt seine Gäste mit auf eine kreative Reise. Der Veranstalter Diether Kabow liest Texte anonym vor, die ihm per E-Mail zugesendet wurden. Ein Künstler hält die Eindrücke, Emotionen und Botschaften der Texte in Bildern fest und sorgt damit für einen wahren Augenschmaus. Am Ende werden vom Publikum drei Gewinner ernannt und die Autoren können entscheiden, ob sie anonym bleiben möchten, oder mutig genug sind, sich der Zuhörerschaft vorzustellen.
Ein bisher einzigartiges Konzept findet man in der Amerika Gedenkbibliothek. Dort findet man nicht nur lernende Studenten, Leseratten und Menschen, die sich Bücher ausleihen möchten. Jeden Dienstagabend schlendern dort Gedanken versunkene Besucher mit Kopfhörern durch die Regale oder machen es sich in der Bibliothek gemütlich. Sie lauschen inmitten aller anderen Besucher durch die Flüsteranlage, die normalerweise für Führungen verwendet wird, den Stimmen der Vorleser. So wird niemand beim Lesen oder Lernen gestört und man kann sich frei bewegen, während die Autoren einen mit auf eine fantastische Reise der Gedanken nehmen.
Ob man einfach nur zuhören und sich in ferne Welten denken möchte, oder ob man gerne selbst zum Mikrofon greift und vorliest – in Berlin findet jeder zahlreiche Events, die das Kopfkino anregen und zum Träumen einladen. Die teilweise sehr besonderen Räumlichkeiten wie das Zeiss-Großplanetarium oder die Kugelbahn Wedding sorgen dafür, dass wirklich niemandem langweilig wird. Die unterschiedlichsten Konzepte, wie Feuerpudel, wo Literatur auf Kunst trifft, oder das Café Tasso, in dem sich köstliches Frühstück mit entspannten Leseveranstaltungen vereint wird, erweitern das Angebot auf spannende Art und Weise und lassen keine Wünsche offen.
Wem ein Abend nicht genug ist, der hat vom 23.11. – 25.11.2017 die Gelegenheit beim Finale der Berlin-Brandenburgischen Poetry Slam Meisterschaft den besten Autoren zuzuhören. Ein vielversprechendes Event, das an drei Tagen und an drei verschiedenen Orten stattfindet. Nähere Informationen gibt es auf Berlin.de.
Carla Bergmann arbeitet für die berlinerumschau.com als freie Redakteurin und prüft alle Beiträge vor ihrer Veröffentlichung eingehend auf Herz und Niere. Sie ist zudem selbst freie Autorin und zudem passionierte Wahlberlinerin. Sie schreibt über Dies und Das, aber am liebsten schreibt sie über Berlin – ihre heimliche Liebe.