Fragen an Reuven Cabelmann

Am Tag der Befreiung des KZ Auschwitz besuchte Shimon Peres, der Präsident Israels, die Bundesrepublik Deutschland und bekam einen „großen Bahnhof“ in der Bundeshauptstadt Berlin mit einem Auftritt im Bundestag. Nicht überall fand er dafür Beifall. Die „Berliner Umschau“ befragte dazu Reuven Cabelmann, Sprecher der Gruppe „Neturei Karta International“, derzeit Antwerpen.

Reuven Kabelmann in Berlin (2. v.r.)

Berliner Umschau: Herr Cabelmann, einen Standpunkt wie Sie und ihre Mitstreiter Rabbi Beck, Rabbi Weiss und Rabbi Cohen vertreten, hört man nur selten, in Deutschland fast gar nicht. Wie repräsentativ sind Sie für die jüdische Gemeinschaft weltweit bzw. in Deutschland?

Reuven Cabelmann: Zunächst müsste doch geklärt werden, inwieweit die zionistisch gelenkten Gemeinden repräsentativ für das Judentum sind. Schauen Sie, nach 1945 existierte sozusagen ein „Führungsvakuum“ aufgrund der Tatsache, dass unsere orthodox und traditionell antizionistisch orientierten Gemeinden Europas vollkommen zerschlagen und deren religiösen und spirituellen Führer zum allergrößten Teil nicht mehr am Leben waren. Dieses Vakuum konnte von den Zionisten dann sehr schnell gefüllt werden, weil deren Organisationen während und nach dem Krieg weitgehend intakt blieben. Der zionistische Staat wurde ja schließlich bereits drei Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges gegründet und die zionistische Führung verstand es, sich nicht nur der Symbolik des Judentums, sondern darüber hinaus auch im Laufe der Jahre sich der gesamten noch nutzbaren Liegenschaften zu bemächtigen. Dort wo dies aufgrund von Zerstörung nicht mehr möglich war, ließen sich die Zionisten durch „Reparationsgelder“ gut bezahlen und bauten damit nicht nur materiell ihren Staat auf sondern förderten auch unter den Massen die ideologischen Grundlagen des Zionismus. Mittlerweile haben wir Generationen, die in der Logik der zionistischen Idee erzogen, regelrecht „gebrainwashed“ oder auch gekauft worden sind, wenn man insbesondere auf den sogenannten “ religiösen Zionismus“ abheben will. In Europa, insbesondere in Deutschland, gibt es kaum etwas, das nicht durch die Zionisten kontrolliert wäre.

Unsere orthodox-chassidischen Gemeinden hingegen, die dann vor allem in den USA, Kanada und England aufgebaut wurden, brauchten zum Teil bis in die 60er Jahre hinein, um sich einigermaßen von den Schlägen und Wunden des 2. Weltkrieges zu regenerieren und verfügten längst nicht über vergleichbare finanzielle Mittel, zumal sie das „Blutgeld“ der Zionisten auch nicht haben wollten. Die einzige Ausnahme – sozusagen als Kontinuität des Thora-treuen Judentums – bildet unsere Gemeinde in Palästina, die mit ihrer großen Anhängerschaft immer gegen die Zionisten agierte und den Staat Israel bis heute nicht akzeptiert. Natürlich muss man auch die jüdischen Gemeinden in den arabischen Ländern oder in Persien erwähnen, die sich im Grundsatz strikt weigerten, dem Zionismus zu folgen.. Insbesondere nach wie vor intakte Gemeinden in Tunesien, Marokko oder dem Iran oder versprengte Juden im Libanon, verstehen sich als ihren Heimatländern eng verbundene Patrioten, die mit dem zionistischen Staat nichts zu tun haben wollen.

Wir stehen auf dem Boden der historischen Überlieferungen unserer Religion und verkörpern deren Kontinuität. Wir sind keine neue Bewegung oder eine Sekte, wie böswillige Zungen aus ihrer Unwissenheit heraus gerne behaupten. Jedoch wurde im Laufe der Jahrzehnte – wie vorhin bereits beschrieben – aus einer Mehrheitsposition eine Minderheit. Für uns gilt es, die Wurzeln unserer Religion, die Wege unserer Vorväter und der Thora gegen Verfälschung, Entstellung und Lüge zu verteidigen und auch darauf zu hoffen, dass aus dieser momentanen Minderheit von einigen Hunderttausend – so wie vor den beiden Weltkriegen – wieder eine Mehrheit wird. Wir sind jedoch in erster Linie repräsentativ für die Lehren und Grundfesten des Judentums, die anderen hingegen für einen neuen, gerade einmal etwas mehr als 100 Jahre alten nationalistischen Kult. Darin besteht der wesentliche Unterschied.

B.U.: Dem Zentralrat der Juden in Deutschland müssten Sie eigentlich ein Dorn im Auge sein. Haben Sie dahin Kontakte bzw. wie ist ihre Beziehung zum organisierten deutschen Judentum?

R.C.: Natürlich sind wir denen ein Dorn im Auge und ich bin mir auch sicher, dass sie früher oder später mit ihren üblichen Methoden der Lüge, Verleumdung, Repression und ähnlichen Kampagnen auf uns reagieren werden. Im Augenblick versuchen sie es noch mehr oder weniger mit der Taktik des „Totschweigens“. Doch glauben Sie mir, die werden ihre Strategie bald ändern. Nein, wir haben keine Kontakte dorthin und wollen diese auch nicht. Uns ist der Kontakt mit abtrünnigen Häretikern religions-gesetzlich untersagt. Bitte, benennen Sie die Dinge nach dem was sie sind: Ein organisiertes “ deutsches Judentum“ existiert hier nicht. In Deutschland handelt es sich im besten Fall um ein „organisiertes deutsches Zionistentum“, im übrigen oft genug auch konkret um Ableger von Organisationen aus dem zionistischen Staat und auf Umwegen auch von diesem bzw. deutschen Steuergeldern mitfinanziert.

B.U.: Sie sagen, Sie vertauen auf den Schöpfer. Was sagen Sie, wenn Ihnen ein Zionist sagt, nach Auschwitz könne man sich nicht mehr auf den Schöpfer verlassen. Man müsse selbst für sein Schicksal sorgen – deshalb sei der Staat Israel notwendig?

R.C.: Ich würde ihm antworten wollen, dass man doch gerade nach Auschwitz gar keine andere Wahl hat, als mit Unbeugsamkeit zu den Wegen unserer Vorväter zurückzukehren und an den Allmächtigen zu glauben und Seinen Geboten zu folgen. Diese Lehre lehrt uns unser Gott doch ganz augenscheinlich auch mit Auschwitz. Darüber hinaus würde ich ihm die Gegenfrage stellen wollen, wo denn nach 1945 die meisten Juden getötet worden sind und dass das Leid, das wir UND die palästinensischen Menschen heute zu ertragen haben, nur ein weiterer Preis dafür ist, dass so viele den Wegen der Thora nicht mehr folgen. Der Staat Israel ist die größte Katastrophe für das jüdische Volk. Das würde ich ihm antworten und wenn er darüber hinaus offen für ein faires Gespräch wäre, ohne Aggression und Arroganz, würde ich ihm geduldig das „Warum“ darzulegen versuchen.

B.U.: Nun existiert der Staat Israel aber. Haben Sie politische oder andere praktische Vorschlaege, wie man die Situation verbessern und ein friedliches Zusammenleben, von dem Rabbi Weiss ja so anschaulich berichtet hat, doch noch erreichen könnte?

R.C.: Seine Existenz berührt jedoch das Grundproblem. Solange es diesen Staat geben wird, wird es kein friedliches Zusammenleben geben. Jedenfalls nicht in größerem Maßstab. Hie und da bei einzelnen lobenswerten Initiativen sicherlich. Doch muss der eigentliche Grund beseitigt werden, um eine gesamt-gesellschaftliche Friedenslösung überhaupt erst schaffen zu können, damit wir zu dem zurückkehren können, was vor dem Eindringen des Zionismus in das Heilige Land Bestand hatte und das friedliche Miteinander zwischen Arabern und Juden wieder möglich sein kann. Was für die DDR, die Sowjetunion und erst recht für Apartheid-Südafrika galt, kann morgen auch schon die Wahrheit für den zionistischen Staat bedeuten. Wir vertrauen auch hier auf die Mithilfe des Allmächtigen. Und die Zeichen stehen insofern ganz gut, so jedenfalls meine Einschätzung!

Mit Reuven Cabelmann sprach Charly Kneffel

Veröffentlicht: 4. Februar 2010